Die Geheimlehre von Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891), einer der Begründerinnen der Theosophischen Gesellschaft, ist ein monumentales Werk der esoterischen Philosophie, das 1888 unter dem Titel “The Secret Doctrine” veröffentlicht wurde. Blavatsky war eine zentrale Figur in der esoterischen Bewegung des 19. Jahrhunderts, und ihre Lehren hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf die westliche Esoterik und spirituelle Strömungen.
Hintergrund und Einflüsse
Blavatskys Geheimlehre basiert auf einer Synthese aus verschiedenen okkulten, religiösen und philosophischen Traditionen, die sie im Laufe ihrer Reisen und Studien gesammelt hat. Sie war stark beeinflusst von den Lehren der östlichen Religionen (insbesondere des Hinduismus und Buddhismus), den gnostischen und hermetischen Traditionen, sowie von westlicher Mystik und Alchemie. Sie behauptete, ihre Lehren stammten aus alten Weisheitsüberlieferungen, die durch geheime Meister oder Adepten (oft als die Mahâtmas oder Meister der Weisheit bezeichnet) überliefert wurden, die sie in Tibet kennengelernt haben soll.
Hauptideen der Geheimlehre
Die Geheimlehre ist ein äußerst komplexes Werk, das sowohl metaphysische, kosmologische als auch spirituelle Themen behandelt. Es ist in zwei Bände unterteilt: Kosmogenesis (die Entstehung des Universums) und Anthropogenesis (die Entstehung der Menschheit). Die zentralen Ideen sind:
1. Das Eine Absolute Prinzip
Blavatsky spricht von einem absoluten, unaussprechlichen Prinzip, das die Grundlage allen Seins ist. Dieses Prinzip ist unpersönlich, unbegreiflich und jenseits aller Dualitäten. Es wird oft als das Eine oder die Absolute Wirklichkeit beschrieben, aus der alle Manifestationen hervorgehen. Es ist der Ursprung des Universums, aber es ist nicht in einer bestimmten Gottheit oder Schöpfungsgeschichte verankert. Dieses Konzept erinnert stark an die vedantische Vorstellung von Brahman und an das daoistische Dao.
2. Zyklen der Schöpfung und Zerstörung
Einer der zentralen Aspekte der Geheimlehre ist die Idee, dass das Universum und alles, was darin existiert, in zyklischen Prozessen von Schöpfung und Zerstörung existiert. Diese Zyklen werden als Manvantaras (Zeiten der Schöpfung) und Pralayas (Zeiten der Auflösung) bezeichnet. Diese kosmischen Zyklen beeinflussen nicht nur das Universum als Ganzes, sondern auch die Evolution der Seelen und die Entwicklung der Menschheit.
3. Die Sieben Prinzipien
Blavatsky beschreibt eine hierarchische Struktur des Universums und der menschlichen Natur, die auf der Zahl Sieben basiert. Das gesamte Universum und der Mensch bestehen aus sieben Ebenen oder Prinzipien. Diese Prinzipien sind sowohl spirituell als auch materiell und repräsentieren die verschiedenen Dimensionen der Existenz. Im menschlichen Wesen gibt es beispielsweise sieben Prinzipien, darunter:
- Atman (das höchste, göttliche Selbst),
- Buddhi (spirituelle Intuition),
- Manas (der denkende Geist),
- und weitere Prinzipien, die den physischen, emotionalen und intellektuellen Aspekt des Menschen betreffen.
Diese Struktur spiegelt sich in vielen kosmologischen und metaphysischen Konzepten der Geheimlehre wider.
4. Die Kosmische Evolution
Die kosmische Evolution wird in der Geheimlehre als ein Prozess beschrieben, bei dem das Universum und alles darin enthaltene Leben stufenweise durch verschiedene Ebenen und Zustände von Existenz hindurchgeht. Diese Evolution findet nicht linear, sondern zyklisch statt. Jede Stufe des Fortschritts ist sowohl eine spirituelle als auch eine physische Entwicklung.
Blavatsky beschrieb das Konzept der Wurzelrassen, das sich auf die spirituelle und physische Evolution der Menschheit bezieht. Sie sprach von sieben großen Wurzelrassen, die in aufeinanderfolgenden Zeitaltern auf der Erde existierten und von denen die heutige Menschheit die fünfte Wurzelrasse ist (die sogenannte arische Rasse, was jedoch nicht mit dem rassistischen Konzept des 20. Jahrhunderts verwechselt werden sollte).
5. Die Verborgenheit der Weisheit
Ein weiteres zentrales Konzept der Geheimlehre ist, dass die wahre Weisheit, die spirituelle Wahrheit, verborgen oder okkult ist. Sie wird nur denen offenbart, die bereit sind, die notwendigen spirituellen und moralischen Fortschritte zu machen. Diese Weisheit wird durch die sogenannten Meister der Weisheit oder Mahatmas bewahrt, die angeblich in abgelegenen Teilen der Welt (vor allem Tibet) leben und das alte Wissen hüten. Diese Meister sollen Blavatsky in ihren Lehren unterwiesen haben.
6. Karma und Reinkarnation
Wie in vielen östlichen Traditionen spielt das Konzept von Karma und Reinkarnation eine zentrale Rolle in Blavatskys Lehren. Sie beschrieb die Seele als unsterblich und durchläuft wiederholte Inkarnationen, um sich spirituell weiterzuentwickeln. Das Gesetz von Karma regelt diese Zyklen, wobei jede Handlung Konsequenzen hat, die das zukünftige Leben der Seele beeinflussen.
Der Prozess der Reinkarnation und des Karmas soll letztlich zur Befreiung der Seele führen, wenn sie ihre Einheit mit dem göttlichen Absoluten erkennt und die Illusion der Trennung überwunden wird.
Der Einfluss der Geheimlehre
Blavatskys Geheimlehre hat die westliche Esoterik und spirituelle Bewegungen maßgeblich beeinflusst. Ihre Synthese von östlicher und westlicher Weisheit bot vielen Menschen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine neue Perspektive auf Religion und Spiritualität. Die Theosophische Gesellschaft, die sie mitbegründete, spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung östlicher spiritueller Lehren im Westen, insbesondere des Hinduismus und Buddhismus.
Die Geheimlehre war auch eine Quelle der Inspiration für zahlreiche spätere esoterische Bewegungen und Denker, darunter die Anthroposophie von Rudolf Steiner, die Alice Bailey-Lehren, sowie moderne New-Age-Strömungen. Viele Themen, die in der Geheimlehre behandelt werden, wie Reinkarnation, Karma, die Idee der spirituellen Meister und die Einheit aller Religionen, fanden später Eingang in den esoterischen Mainstream.
Kritik und Kontroversen
Trotz ihrer immensen Bedeutung war Blavatsky auch eine kontroverse Figur. Ihre Lehren wurden von vielen als schwer verständlich oder zu spekulativ angesehen. Wissenschaftliche Kreise kritisierten sie für den Mangel an Belegen und für die Vermischung von Mythen, religiösen Texten und spekulativen Ideen. Einige behaupteten, dass Blavatsky Teile ihrer Werke plagiiert habe oder dass ihre Behauptungen über die Meister und das alte Wissen erfunden seien.
Dennoch bleibt die Geheimlehre ein fundamentales Werk in der Geschichte der Esoterik, und Blavatsky wird weiterhin von vielen als eine der großen spirituellen Lehrerinnen der Moderne verehrt.
Lebenslauf von Helena Petrovna Blavatsky
Frühes Leben
- Geboren: 12. August 1831 in Dnepropetrowsk, Ukraine (damals Teil des Russischen Kaiserreichs).
- Familie: Tochter von Peter von Hahn, einem deutschen Adligen, und Nina Petrovna, einer russischen Adligen. Ihre Mutter war eine bekannte Schriftstellerin.
- Kindheit: Blavatsky zeigte früh ein Interesse an Okkultismus und Mystik. Sie erhielt eine unkonventionelle Erziehung und war eine leidenschaftliche Leserin von esoterischen und philosophischen Texten.
Jugend und frühes Erwachsenenleben
- Teenagerjahre: In ihrer Jugend hatte Blavatsky Erfahrungen mit spirituellen und mystischen Praktiken, einschließlich Visionen und Träumen.
- Heiratsleben: Im Alter von 17 Jahren heiratete sie den russischen Offizier Nikifor Blavatsky, verließ ihn jedoch bald darauf, um ein unabhängiges Leben zu führen.
Reisen und spirituelle Entwicklung
- Reisen: Von 1849 bis in die frühen 1860er Jahre unternahm Blavatsky zahlreiche Reisen, insbesondere nach Europa, Amerika und Asien, wo sie sich mit verschiedenen spirituellen Traditionen und Philosophien auseinandersetzte.
- Studien: Während ihrer Reisen studierte sie östliche Religionen, insbesondere Hinduismus und Buddhismus, sowie westliche esoterische Traditionen.
Gründung der Theosophischen Gesellschaft
- Theosophische Gesellschaft: 1875 gründete sie gemeinsam mit Henry Steel Olcott und William Quan Judge die Theosophische Gesellschaft in New York, mit dem Ziel, eine universelle Bruderschaft der Menschheit zu fördern und die Erkundung der spirituellen Wahrheit voranzutreiben.
- Lehre: Blavatsky verfasste grundlegende Werke, darunter "Isis Unveiled" (1877) und "The Secret Doctrine" (1888), in denen sie ihre esoterischen Lehren und die Synthese aus östlichen und westlichen Philosophien darlegte.
Spätes Leben und Vermächtnis
- Krankheit und Rückzug: In den späteren Jahren ihres Lebens litt Blavatsky unter gesundheitlichen Problemen, die sie jedoch nicht davon abhielten, weiterhin Vorträge zu halten und zu schreiben.
- Tod: Sie starb am 8. Mai 1891 in Adyar, Indien, wo die Zentrale der Theosophischen Gesellschaft befindet.
- Einfluss: Blavatsky gilt als eine der bedeutendsten Figuren der westlichen Esoterik und hat viele spirituelle Bewegungen, einschließlich der New-Age-Bewegung, beeinflusst. Ihr Werk bleibt bis heute von Bedeutung, und ihre Lehren werden in verschiedenen esoterischen Schulen und Praktiken studiert.
Zusammenfassend
Madame Blavatskys Geheimlehre ist eine tiefgründige und komplexe Zusammenstellung von okkulten, philosophischen und religiösen Lehren, die versucht, eine umfassende Erklärung für die Mysterien des Lebens, des Universums und der menschlichen Evolution zu geben. Ihre Synthese aus östlicher und westlicher Weisheit, die Betonung auf Karma, Reinkarnation und die zyklische Natur der Schöpfung, sowie ihre Lehren über verborgene spirituelle Meister haben die moderne Esoterik stark geprägt und inspiriert viele spirituelle Sucher bis heute.
Bildquellen
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- Blavatsky and Olcott: Blavatsky and Olcott in 1888. Theosophical Society, Public domain, via Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0