Es war eine jener Nächte, in denen der Wind durch die Straßen heulte und der Regen in dichten Vorhängen auf die Fenster trommelte. Anna, die allein in ihrem kleinen Häuschen am Waldrand lebte, kuschelte sich auf ihrer Couch in eine Decke und versuchte, das unheimliche Heulen des Sturms zu ignorieren. Sie war es gewohnt, allein zu sein, und normalerweise hatte sie keine Angst – doch in dieser Nacht lag etwas in der Luft, das sie nicht benennen konnte.
Sie zog ihr Handy hervor, um sich mit Musik abzulenken, als es geschah: Ein leises, aber bestimmtes Klopfen an der Haustür.
Anna fror ein. Wer konnte das um diese Zeit sein, in einem solchen Sturm? Ihre nächsten Nachbarn lebten eine halbe Meile entfernt, und sie erwartete niemanden. Sie blieb still sitzen, in der Hoffnung, dass der Besucher wieder gehen würde. Doch das Klopfen wiederholte sich – diesmal etwas lauter.
„Wer ist da?“ rief sie, ihre Stimme zitterte trotz ihrer Bemühungen, ruhig zu klingen. Keine Antwort.
Langsam stand sie auf, griff nach ihrem Handy und schaltete die Taschenlampe ein. Sie näherte sich der Tür und spähte durch den Spion. Draußen war nichts als Regen und Dunkelheit.
Dann kam das Klopfen erneut – diesmal von der Hintertür.
Anna drehte sich erschrocken um. Niemand konnte so schnell um ihr Haus laufen, besonders bei diesem Wetter. Sie hielt die Luft an, ihre Gedanken rasten. Sollte sie die Polizei rufen?
Das Klopfen hörte nicht auf, es wurde lauter, drängender, als ob jemand verzweifelt hineinwollte. Anna zögerte, doch schließlich fasste sie sich ein Herz und rief: „Wer auch immer Sie sind – ich rufe die Polizei!“
Plötzlich verstummte das Klopfen.
Anna stand minutenlang reglos da, lauschte auf jedes Geräusch. Nur der Wind und der Regen waren zu hören. Doch als sie gerade erleichtert ausatmen wollte, kam ein neuer Laut – ein Kratzgeräusch, direkt am Wohnzimmerfenster.
Ihr Herz raste, als sie die Taschenlampe auf das Fenster richtete. Die Gardinen waren zugezogen, doch sie konnte den schwachen Umriss einer Hand erkennen, die langsam über das Glas fuhr. Die Finger waren unnatürlich lang und knochig, und die Bewegungen wirkten beinahe genüsslich.
„Geh weg!“ schrie sie, doch die Hand blieb, das Kratzen wurde intensiver.
Plötzlich verstummte das Geräusch, und die Hand verschwand. Alles war still. Zu still.
Anna schlich sich vorsichtig zum Fenster und zog einen Spalt der Gardine zurück. Draußen war niemand. Sie wollte schon aufatmen, als sie im Spiegel der Fensterscheibe etwas sah: ein Gesicht, das direkt hinter ihr auftauchte. Es war blass, mit leeren, dunklen Augen und einem Mund, der sich zu einem unmenschlichen Lächeln verzog.
Sie schrie und drehte sich um – doch da war nichts.
Die Lichter im Haus flackerten, und plötzlich ging der Strom aus. Anna war jetzt in völliger Dunkelheit, nur die schwache Taschenlampe in ihrer Hand spendete Licht. Sie rannte zur Haustür, doch als sie sie erreichte, fühlte sie etwas Kaltes über ihre Schulter streichen.
Ein Flüstern erklang, direkt neben ihrem Ohr: „Du hast mich hereingelassen.“
Panisch riss sie die Tür auf und rannte hinaus in den Regen, ohne sich umzusehen. Sie lief so schnell, wie ihre Beine sie tragen konnten, den schmalen Pfad hinunter zur Straße. Doch als sie die Lichter eines vorbeifahrenden Autos sah, fühlte sie plötzlich, wie sich etwas um ihre Knöchel schlang und sie zu Boden riss.
Das Letzte, was sie sah, bevor die Dunkelheit sie verschluckte, war ein Paar schwarzer, unendlich leerer Augen, die sie aus dem Sturm heraus anstarrten.
Am nächsten Morgen fand man Annas Haus leer vor. Die Tür stand weit offen, und der Regen hatte den gesamten Eingangsbereich durchnässt. Auf dem Boden waren Spuren von krallenartigen Kratzern zu sehen, die ins Wohnzimmer führten – doch von Anna fehlte jede Spur.
Die Polizei schloss den Fall als ungeklärt ab, doch einige Nachbarn schwören, dass sie in stürmischen Nächten noch immer ein leises Klopfen an ihren Türen hören.
Jürgen aus Emden